Über: Franz Xaver Baier – Der Raum

„Die gebräuchliche Dimension von Raum ist Länge mal Breite mal Höhe” - mit diesen Worten beginnt der Phänomenologe und Professor der Architektur Franz Xaver Baier sein Werk „Raum - Prolegomena zu einer Architektur des gelebten Raumes“ aus dem Jahr 2000. Er wird im Verlaufe des Buches diese Definition um eine eigens entworfene Raumtheorie erweitern und vertiefen.

Anlass hierzu bietet ihm das traditionelle westliche Verständnis von „Raum”, in dem dieser nur als „ungelebter“ verstanden werde, wie Baier im ersten Teil des Buches ausführt: In euklidisch-geometrische Theorie gefasst, finde sich der Raum hier als steril homogen, flächig und eingeebnet wieder, die betrachtende Person nehme ihm gegenüber eine lediglich analytisch-distanzierte Beobachterrolle ein.

Als kritisches Korrektiv bringt er hierzu im zweiten Teil des Buches den Begriff des „gelebten Raums” in Stellung: In Termina der Phänomenologie von Heidegger bis Sartre wird Raum hier als “eine Erschließungs - und Begegnungsstruktur“ (S.48) begriffen, in die wir als Wahrnehmende immer schon sinnlich eingebunden seien und diesen darin situativ und prozessual erfahren, statt lediglich rein rational aufzunehmen. In Verbindung mit der Sprachphilosophie von Ludwig Wittgenstein wiederum wird der Begriff „Raum” auch auf abstrakte Phänomene wie soziale Beziehungsgefüge oder Sprache ausgeweitet. Innerhalb dieses gesetzten theoretischen Rahmens fährt Baier im weiteren Verlauf fort, den Begriff „Raum” in vielfältige Perspektiven auszulegen und ihn vom „existentiellen” über den „virulenten” bis hin zum „panischen Raum” in zahlreiche Facetten aufzugliedern.

Nach dieser Ausdifferenzierung erweitert Baier im dritten Teil seine vorherig entworfene Raumtheorie auf weitere potenziell zu vertiefende Betrachtungsfelder und leitet daraus zuletzt einige skizzenartige Thesen zu einer neuen Art von Architektur ab.

Das Motiv, den Begriff des Raumes aufzubrechen und diesen offener und flexibler zu begreifen, findet sich dabei auch auf den Stil des Buches selbst übertragen: Der abstrakte Theorieraum, den der Text konstruiert, ist durchzogen von eklektischen Einstreuungen, ungewöhnlichen Querverweisen und Lyrismen. Doch gerade dieser Stil der Entfaltung eines möglichst großen Assoziationsraums lässt viele Argumentationen mehr postuliert als begründet zurück, auch gelingt es nicht immer, den thematischen Bezug zahlreicher Einstreuungen nachzuvollziehen.

Dennoch ist es gerade die große Spannweite des Buches, die aufzeigt, wie ergiebig das von Baier entworfene Raumverständnis sein kann, um nur schwer zu fassende und unterschwellige Phänomene wie Atmosphären, Virtualitäten und Kontextualitäten unter einen Blick zu bekommen. Gerade im Feld der Visuellen Kommunikation bietet dieser Begriff darin ein nützliches Instrumentarium, das es erlaubt, die betrachtende Person und den Betrachtungsgegenstand immerzu als gemeinsame Konstellation zu betrachten – und zwischen ihnen die ‘unsichtbaren’ Zwischenräume, die von der Disziplin der Visuellen Kommunikation immer wieder neu gedacht, ausgestaltet und bespielt werden müssen - oder in den Worten Baiers: Der „Zwischenraum [ist] der Ursprungsort neuer Wirklichkeit. Er ist die ‘Nische’ aus der neue Räume wachsen.” (S.58)

Franz Xaver Baier: Der Raum - Prolegomena zu einer Architektur des gelebten Raumes. Köln 2000.